Vier Teilnehmer mit Migrationsbiografie bei Talkrunde des Netzwerks für kulturelle Vielfalt
Vom ihrem Ankommen in Deggendorf haben vier Teilnehmer mit „Migrationsbiografien“ – aus der Türkei, Amerika, Griechenland und Kasachstan – bei einer Talkrunde des Netzwerks für kulturelle Vielfalt erzählt. So oder so: Ein ganz wichtiges Element ist das Verstehen, das Beherrschen der Sprache. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass es ein Reichtum ist, wenn man als Kind zwei Sprachen lernen darf.
Der Grieche Jannis Halatsisi ist 1970 zuerst nach Dachau gekommen. 1979 hat er in München eine
Mettenerin kennengelernt: Erika Kilger. Halatsis erzählt vom Sirtaki tanzen und vom Ouzo trinken und davon, dass seine spätere Frau beim ersten Vorstellen „Onassis“ statt Halatsis verstanden hat.
Der 67-Jährige ist einer der vier Gesprächsteilnehmer im Kapuzinerstadl. Inzwischen lebt Halatsis,
der 1982 einer der ersten Griechen in Deggendorf war, seit 40 Jahren in der Donaustadt.
„Ich war 21, als ich nach Niederbayern kam“, erzählte dann Anna Petrilak-Weissfeld dem Moderator Karl Hauser. Sie stammt aus Kasachstan. 14 Jahre hat sie in Regen verbracht, 13 Jahre in Deggendorf. Am meisten belastet habe sie bei der Ankunft die Nicht-Anerkennung ihres Berufsabschlusses als Grundschullehrerin. In Kitas habe sie eine Weiterbildung zur Erzieherin gemacht: „Was
mich geprägt hat, waren die Leitungen in den Kitas, die haben mich motiviert.“ Sie hat den Bachelor und den Master abgeschlossen und freut sich, dass sie „Arbeitgeber gefunden hat, die an mich geglaubt haben“. Seit 2017 ist sie mit einem Plattlinger verheiratet.
Prof. Dr. Kemal Orak schickt schon mal eins voraus: Es sei „abwertend“, von „Menschen mit
Migrationshintergrund“ zu sprechen“, moniert er. „Wenn ich jemand mit seinem Hintergrund
definiere, stelle ich mich in den Vordergrund.“ Und er fügt an: „Man kommt dann an, wenn man
nichts Weiteres mehr sieht, man kann zwei Heimaten haben.“
Orak möchte lieber von „Migrationsbiografie“ sprechen: Es gebe nur eine Biografie, „und die gilt
auch für den Rentner aus Berlin, der in Seebach ein Ferienhaus hat“. Es war „kein romantischer
Grund“, erinnert er sich – es war vielmehr die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit in der Heimat, die
seine Eltern aus der Türkei nach Deutschland geführt hat. Er war fünf, als er 1965 nach Seebach
kam. Würde er Karl Hausers Frage beantworten, wie das ist, wenn man als türkisches Kind nach Niederbayern kommt, wäre das abendfüllend. Auf den Punkt gebracht: „Man sucht sich Spielkameraden.“
Dass Kinder aus türkischen Familien seinerzeit in die Sonderschulen geschickt wurden, lag nicht an deren kognitiven Fähigkeiten, sondern daran, dass die Gesellschaft nicht bereit war, mit Deutschkursen zu helfen, sagt Prof. Orak rückblickend. Er selbst wurde nach der Grundschule in
Seebach von seinen Eltern auf die Realschule nach Schöllnach geschickt. Er sei wohl der erste Türk
gewesen, der in Niederbayern die Mittlere Reife gemacht hat. Später besuchte er die FOS in Deggendorf. Seit dem Studium der Betriebswirtschaft 1979 lebt er in München.
„Von Deggendorf kimm i nimmer weg“, erklärte schließlich Charlie Morris. Der gebürtige Amerikaner, der als Soldat nach Deutschland gekommen war, hat schon viele Wohnorte gehabt. Er
stammt aus Missouri, später zogen seine Eltern unter anderem nach Milwaukee/Wisconsin. Texas und die Kaserne in Regen, wo er von 1978 bis 1981 stationiert war, waren weitere Stationen. In
Niederbayern hat Morris geheiratet, wurde Vater zweier Kinder, ging dann wieder für ein Jahr nach
Louisiana. Zurück in Deutschland, hat er später beruflich auf Koch umgesattelt.
Im Bayerischen Wald habe er mit Dialekt-Aussprachen wie dem „wow“, was dem US-Slang nicht
unähnlich sei, ein Aha-Erlebnis gehabt. Das „Gebirge“ um Deggendorf und den Wald schätzt er
sehr, ebenso wie Anna Petrilak-Weissfeld, die von Kasachstan her nur die Steppe gekannt hat Mit
Breakdance hatten Kids um Philip Meyer, Weltmeister 2019, bekannt unter dem Namen „Flo-
yd“, den Abend eingangs aufgelockert. 30 Fotografien von Elftklässlern des Robert-Koch-Gymna-
siums und von Schülern der kaufmännischen Berufsschule zum Thema „Treffpunkte, Orte an
denen“ haben die Veranstaltung bereichert, ebenso wie ein Update der Porträts „Gesichter der Stadt“, eine Ausstellung, die Cem Yasinoglu 2010 mit Menschen, die aus der Türkei stammen, gemacht hatte. Yasinoglu, Vorsitzender des Netzwerks, hat zu der Talkrunde rund 50 Interessierte begrüßt, darunter der frühere MdB Barthl Kalb, CSU, und SPD-Stadtrat Karl Heinz Stallinger. Er bedankte sich bei Veronika Weinberger und Sonja Würf, seinem Sohn Merih und Julia Urlacher vom Netzwerk, die bei der Organisation mitgeholfen hatten. Der angekündigte Autor des Buches „Der Selfmade Türke“, Metin Abdis, ein BMW-Kollege von Yasinoglu, konnte wegen eines beruflichen USA-Aufenthalts nicht kommen.
Quelle: Deggendorfer Zeitung, 26.10.2022