„Demokratie braucht Verteidigung!“


Alltagsrassismus, Ankerzentrumsbewohner und die Macht der Gefühle zum Auftakt der „Woche der Begegnung“

Mit einer Gedenkund Schweigeminute für die Opfer des rassistischen Terror-Attentats in Halle hat die Auftaktveranstaltung der diesjährigen „Woche der Begegnung“ am Donnerstagabend im Kapuzinerstadl begonnen. „Die Stadt Deggendorf ist Partner im Programm ,Demokratie leben!‘ und fördert seit 2015 Projekte gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“, stellte zweiter Bürgermeister Günther Pammer vor rund hundert Gästen fest, darunter auch MdB Thomas Erndl, Vertreter der Geistlichkeit, der Integrationsbeauftragte Oliver Antretter und einige Stadträte.

Themen der vierten, diesmal vierzehntägigen, Begegnungswoche seien Vielfalt, Integration, Toleranzerziehung, Fluchtursachen und Erinnerungskultur. Dabei gehe es darum, den Zusammenhalt der Stadtgemeinde zu stärken und die Weltoffenheit zu bewahren. Dazu brauche es Bürgerinnen und Bürger, die sich für Demokratie einsetzen und engagieren – sozial, politisch und auch in Vereinen. Pammer fügte hinzu: „Demokratie ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Demokratie braucht Verteidigung!“

Martin Hohenberger, Vorsitzender des Begleitausschusses „Partnerschaft für Demokratie“, dankte allen, die die „Woche der Begegnung“ möglich gemacht haben, insbesondere der „operativen Ebene“, also Schulen, Verbänden und Vereinen als Projektträger im Rahmen des Bundesprogramms. Aktuell bewerbe man sich für das Nachfolgeprogramm 2020, an dem sich zusätzlich zur Stadt wohl auch der Landkreis beteiligen wolle.

„Deggendorf fährt Taxi“ hieß es dann auf der Bühne. Mit viel Witz und komödiantischem Geschick nahmen Schüler des Robert-Koch-Gymnasiums in mehreren Sketchen gemeinsam mit Stadtrat und „Teilzeit-Taxifahrer“ Cem Yasinoglu gängige Vorurteile gegen Fremde und Ausländer aufs Korn. Mit ihren humorvoll inszenierten, teils deftigen Kurzdialogen spiegelten die jungen Nachwuchstalente abgründige Stereotype eines unreflektiert daherkommenden Alltagsrassismus vor einem amüsierten, viel Beifall klatschenden Publikum.

Ursula Keßler von der Externen Koordinierungs- und Fachstelle dankte dem RoKo-Schauspielteam und stellte einige Höhepunkte der Begegnungswoche vor. Öffentliche Premiere hatte das Video-Projekt „Nachbarn“, das unter der Gesamtleitung von Professor Jens Schanze und Caritas-Geschäftsführer Hans-Jürgen Weißenborn von zwölf Studierenden des Studiengangs Medienproduktion der Technischen Hochschule professionell in Zusammenarbeit mit der Caritas-Asylsozialberatung im Deggendorfer Ankerzentrum realisiert worden ist. In fünf sehr dicht, fast hautnah, aber sehr respektvoll geführten Gesprächen schilderten Bewohner des Ankerzentrums, die aus Sierra Leone, Aserbaidschan, Nigeria und Senegal vor Gewalt und Not geflüchtet sind, ihre Erlebnisse, ihre Lebenssituationen, ihren Schmerz, ihr Leid und ihre Hoffnungen auf ein sicheres und behütetes Leben in Frieden und Freiheit.

Im Anschluss an die dreißigminütige Filmvorführung, die einsichtlich betroffenes Publikum zurückließ, erläuterten Professor Jens Schanze, Master-Student Jonathan Schell und Andreas Zilker von der Caritas-Asylsozialberatung in einer von Volkshochschulleiter Bernhard Greiler moderierten Gesprächsrunde Hintergründe und Motive des Filmprojekts. Es wird am Dienstag, 5. November, um 18.30 Uhr im Lichtspielhaus nochmals im Beisein der Filmemacher und Auftraggeber öffentlich gezeigt.

Außerdem werden die fünf Videoporträts Eingang in Schulen, Hochschulen und Institutionen finden. Der Film wolle dazu beitragen, die Bewohner des Ankerzentrums als normale Nachbarn zu betrachten. Dazu könne es nur kommen, wenn man diese Menschen und ihr Schicksal konkret an sich heran lasse und sie nicht nur als abstrakte Kontingente und Zahlen betrachte, darin waren sich die Podiumsteilnehmer einig.

Die Poster-Ausstellung „Macht der Gefühle“ im Kapuzinerstadl-Foyer, die sich mit hintergründigen, emotionalen Motivationen des menschlichen Handelns wie Schmerz, Angst, Wut, Liebe, Hass oder Neid auseinandersetzt, bildete den kulturellen Rahmen für gesellige Begegnungen zu Beginn und zum Ende der Auftaktveranstaltung.

Deggendorfer Zeitung, 12.10.2019