Landrat Bernreiter: „Brauchen Lösung, sonst kippt Stimmung“ – Auch versöhnliche Töne
Wie angespannt die Stimmung angesichts des anhaltenden Zustroms von Flüchtlingen ist, wurde am Donnerstagabend beim „Donau-Talk“ der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/ Landshuter Zeitung sowie von Donau TV in Deggendorf deutlich. Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistages, forderte rasche Lösungen auch auf europäischer Ebene, ansonsten drohe die positive Grundstimmung in der Bevölkerung zu kippen.
Als „dramatisch“ bezeichnete Bernreiter die aktuelle Entwicklung. „Wir bewegen uns alle über dem Limit, unsere Leute arbeiten rund um die Uhr“, so der Deggendorfer Landrat.
Eine Grenze sei mit Blick auf die vielen neuen Flüchtlinge bald erreicht. Man müsse aufpassen, dass man nicht „gegen die Wand“ fahre. Bernreiter stellte klar: „Das ist keine Frage des Wollens, sondern vielmehr der Zugangszahlen.“ Von der Bevölkerung forderte Bernreiter Solidarität ein — er zog dabei sogar einen Vergleich mit der Hilfsbereitschaft nach dem verheerenden Junihochwasser 2013.
Sibler: Druck aus der Situation herausnehmen
Als Schritt in die richtige Richtung bezeichnete Kultusstaatssekretär Bernd Sibler die von Ministerpräsident Horst Seehofer angekündigte Errichtung von neuen Unterkünften in Grenznähe speziell für Flüchtlinge beispielsweise aus den Balkanstaaten.
Damit könne man „Druck aus der Situation nehmen“ und versuchen, aus dem Krisenmodus zurückzukommen. Der Staatssekretär plädierte für ein „ausgewogenes System“: die schnelle Abschiebung jener, die aus rein wirtschaftlichen Gründen hier sind, und dagegen die volle Einbindung der Flüchtlinge mit Bleiberecht in die soziale Infrastruktur. Den Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten müsse bestmöglich geholfen werden.
Mehr Solidarität auf europäischer Ebene forderte Florian Pronold, bayerischer SPD-Chef und Staatssekretär in Berlin, bei der Veranstaltung im Deggendorfer Gasthaus „Weißbräu“ unter Leitung der Moderatoren Sonja Ettengruber (Idowa) und Manuel Krüger (Donau-TV) ein.
Es sei ein „Armutszeugnis“, dass hier nur fünf Staaten Verantwortung übernehmen wollten. In Deutschland müsse man indessen alles tun, damit die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen nicht kippt, forderte Pronold wie zuvor schon Bernreiter.
Während die Deggendorfer Stadträtin und Familienbeauftragte Hela Schandelmaier die enorme Hilfsbereitschaft der Deggendorfer Bevölkerung lobte, übte Caritas-Geschäftsführer Hans-Jürgen Weißenborn leise Kritik an der Art der öffentlichen Diskussion: Man dürfe Flüchtlinge nicht als „gut“ oder „schlecht“ qualifizieren. Man dürfe auch nicht aussortieren, denn schließlich habe jeder einen guten Grund, nach Deutschland zu kommen. So würden Sinti und Roma in Rumänien „wie der letzte Dreck“ behandelt. Die Idee mit den „Extra-Lagern“ (den Ausdruck „Lager“ nahm Weißenborn später zurück) könne er nicht nachvollziehen. Er rief dazu auf, die Situation mit den Augen der Flüchtlinge, mit „Kinderaugen“, zu sehen und zu versuchen, sich in diese Menschen hineinzuversetzen. Weißenborn: „Diese Leute reisen nicht zum Spaß in der Welt herum.“ Der großen Politik machte der Caritas-Mann den Vorwurf, die Probleme nach unten durchzureichen – „da tut mir der Landrat leid“.
„Es kommen keine Menschenfresser“
Als unbegründet bezeichnete der Deggendorfer Polizeichef Stephan Seiler Ängste in der Bevölkerung vor Flüchtlingen. Die Neuankömmlinge seien weder durch Diebstähle noch durch Gewaltdelikte aufgefallen. Man müsse keine Angst haben, dass man bei Nacht nicht mehr auf die Straße gehen könne. „Da kommen keine Menschenfresser“, versuchte auch Landrat Bernreiter eine junge Frau aus dem Publikum zu beruhigen, die sich besorgt wegen der geplanten Flüchtlingsunterkunft im Kloster Metten geäußert hatte. Bernreiter verwies auch auf einen Sicherheitsdienst, der in der Marktgemeinde seinen Dienst aufnehmen werde.
Auf die extreme Dynamik der derzeitigen Entwicklung wies Niederbayerns Regierungspräsident Heinz Grunwald hin. Die Verwaltung könne den sich überschlagen den Entwicklungen oft nur noch „hinterherhecheln“. Der oberste Asylmanager des Regierungsbezirks warb aber auch für Verständnis für die Flüchtlinge und für Solidarität. Grunwald: „Wir sind Deutschland – wir werden das hinkriegen.“
Aufgeheizte Stimmung und Streit um ein Foto
Lautstarke Zwischenrufe aus dem Publikum zeigten, wie aufgeheizt die Stimmung mittlerweile ist. Dabei fiel auch der Vorwurf mangelnder Transparenz, und auch „Lügenpresse“ wurde gerufen.
Nach Ende der Veranstaltung zeigte auch der Regierungspräsident Nerven: Als ihn ein Gast aus dem Publikum mehrere Male aus nächster Nähe fotografierte, forderte er den Mann mehrmals auf, dies zu unterlassen. Er verlangte den Chip mit den Bildern. Als der Gast dies verweigerte, versuchte Grunwald, dem Mann den Fotoapparat zu entreißen. Nicht zuletzt mithilfe der anwesenden Polizisten gelang es rasch, diese unvorhersehbare Situation zu deeskalieren. Regierungspräsident Heinz Grunwald sprach gegenüber unserer Zeitung von „Notwehr.“ Ein juristisches Nachspiel hat der Zwischenfall nicht – noch am Freitagvormittag haben die Kontrahenten miteinander telefoniert und waren sich laut Grunwald einig, dass alles der Hitze der Diskussion geschuldet gewesen sei.
Quelle: Dingolfinger Zeitung, 25.07.2015